Singen als Festigung der Identität

Die korsische Vokalgruppe A Filetta war im Rahmen des a cappella Festivals in Leipzig. Eva Morlang und Jonathan Jäger von T3RZ haben den Sänger Jean-Claude Acquaviva zu einem Interview getroffen.

Euer Name „A Filetta“ heißt auf Deutsch „der Farn“. Was bedeutet das für euch?

Der Farn hat sehr feste und stabile Wurzeln. Sie sind horizontal verankert und verbunden, man kann Farn nur schwer aus der Erde reißen. Auch wenn man etwas abreißt, wächst er immer wieder nach. Für uns steckt in dem Namen verwurzelt sein, fest und beständig.

Eure Wurzeln liegen in der traditionellen korsischen Vokalmusik. Wo hat die Musik wiederum ihre Wurzeln? In welchen Situationen des Lebens wird in Korsika gesungen?

Zum einen hat die Musik ihren Ursprung in der Liturgie der Kirche. Wir haben immer noch viele Lieder mit religiösen Texten im Programm. Zum anderen wurde von den Menschen auf dem Land gesungen, zum Beispiel beim Schafe scheren oder bei der Weizenernte.

Wurde diese Musiktradition in Korsika immer schon gepflegt?

Als A Filetta 1978 gegründet wurde, war die traditionelle Vokalmusik quasi nicht mehr existent. Es war die Musik vom Land und als die Leute nach dem zweiten Weltkrieg in die Städte zogen, geriet sie in Vergessenheit. Es gab nur zwei Gruppen, die diese Art der Vokalmusik praktizierten.

Ein Lehrer gründete A Filetta mit der Idee, die korsische Identität und Kultur zu stärken. Das war damals auch politisch motiviert: Es waren unruhige Zeiten mit großen Unabhängigkeitsbestrebungen. Inzwischen geht es bei unserer Musik nicht mehr um die politische Frage der Unabhängigkeit. Es geht uns darum, unsere Kultur weiterzutragen und bekannter zu machen. Die Werte, die wir vermitteln wollen sind größer, universeller. Wir wollen humanistische Werte vertreten, die Menschen auf der ganzen Welt teilen.

Ist die traditionelle Vokalmusik inzwischen wieder populärer? Wird sie unterrichtet?

Nach 1978 kam die korsische Musik auch wieder in die Schulen, aber nicht in den Schulunterricht. In den Pausen wurde gesungen. Die traditionelle Vokalmusik wird nicht in Schulen unterrichtet, es ist nach wie vor eher eine informelle Sache. Die Lieder sind nur mündlich überliefert, man kann sich also nicht einfach ein Notenheft kaufen. Auch wir schreiben unsere Lieder nach wie vor nicht auf. Um die Gesangstechniken zu lernen, muss man jemanden kennen, der sie beherrscht. Wir mit A Filetta machen dazu auch manchmal Workshops.

A Filetta
A Filetta bei ihrem Konzert in Leipzig. Foto: DREIECK MARKETING / Holger Schneider

Was macht die Technik eurer Musik aus?

Unsere Stück sind polyphon. Es gibt kein wirkliches Metrum, dadurch sind die Gesänge sehr komplex. Eigentlich ist die Musik komplett frei. Es gibt viel Improvisation. Wir haben im Prinzip Blöcke, Einheiten von Harmonien, nach denen man sich wieder zusammen findet und zum nächsten Block geht, aber innerhalb des Blocks kann improvisiert werden. Es sind dann vor allem improvisierte Ornamente, unterlegt mit Harmonien. (Er fordert spontan seine Mitsänger auf, uns ein Beispiel vorzusingen.)

Korsika ist französisches Staatsgebiet. Eure Muttersprache Korsisch ist aber dem Italienischen viel näher. Bis in die 1970er Jahre hinein durfte lange Zeit Korsisch nicht an Schulen unterrichtet werden. Bis heute dominiert in der Schriftsprache Französisch. Was bedeutet die Sprache für euch?

Es stimmt, wir sind den Italienern viel näher. Ich würde sagen nicht nur von der Sprache her, sondern auch von der Mentalität. Korsisch ist unsere Muttersprache, deshalb fühlt es sich für uns natürlich an, auf Korsisch zu singen.

Singen auf Korsisch ist für uns die Bestärkung und Bestätigung einer Identität („confirmation d’une identité“).

 

Als Hintergrund:

Korsisch ist mit Italienisch eng verwandt. Besonders dem toskanischen Dialekt ist es so nah, dass sich Italiener aus dieser Region und Korsen problemlos verständigen können. In den 1970er war Korsisch in Schulen noch verboten, es wurden freiwillige Sommerschulen (scola aperta) eingeführt, in denen Korsisch unterrichtet wurde. 1974 wurde Korsisch als Regionalsprache anerkannt und wird seitdem in begrenztem Umfang unterrichtet. Seit 1989 hat Korsisch den Status der gleichberechtigten Verwaltungssprache. Heute sind in Korsika die meisten Straßenschilder zweisprachig. In der Schriftsprache dominiert das Französische nach wie vor.

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